Geschichte der Barone von Schilling

Von Braunschweig ins Baltikum

Kaspar Schilling, ein Sohn von Georg, 1490 in Braunschweig erwähnt, soll bald danach in den damaligen Ordensstaat Livland aufgebrochen sein. Kaspar hinterließ im Baltikum keine Spuren. Im offiziellen Geschlechterregister des kurländischen ritterschaftlichen Komitees heißt er allerdings Wilhelm. Eine Verwechslung mit dem nachweislich nicht mit ihm verwandten Ordensherren Wilhelm Schilling aus dem Hause Gustorf am Niederrhein, der sich zusammen mit seinem Bruder Adolf zur gleichen Zeit in Livland aufhielt, ist möglich.

Kaspars Sohn Nikolaus wurde 1548 vom Ordensmeister Brüggeney mit dem Hof Meschgail (dem späteren Schillinghof) im heutigen Kreis Riga belehnt.

Der älteste Sohn von Nikolaus, Kaspar II blieb nicht auf dem väterlichen Gut Meshgail, sondern zog nach dem Zerfall des Ordensstaates Alt-Livland (1560) in das neugebildete Herzogtum Kurland, wo er vom frisch gekürten Herzog Gotthard Ländereien erwarb: Am 3. April 1563 für 2000 Mark fünf Bauernhöfe bei Bauske zur lebenslangen Nutzung sowie am 4. März 1586 für weitere 2000 Mark für sich und seine Söhne das lebenslange Pfandrecht.

Das Ende der Ordensherrschaft in Livland nahm 1535 nach dem Tode Plettenbergs seinen Lauf. Plettenbergs Nachfolger waren nicht in der Lage, die inneren Probleme des Landes nach der Reformation zu lösen und dem Zaren Iwan, dem Schrecklichen, als ebenbürtiger Gegnere entgegenzutreten. 1560 wurde das Ordensheer von den Russen entscheidend geschlagen. Die Folge: Alt-Livland zerfiel. Das Land hörte auf, Teil des Deutschen Reichs zu sein. Die Moskowiter konnten jedoch zunächst in Livland noch nicht Fuß fassen. Reval und der nördliche Teil des Landes (also Estland) unterwarfen sich den Schweden, die Bistümer Oesel und Kurland (Stift Pilten) Dänemark. Der Rest von Alt-Livland geriet unter litauisch-polnische Schutzherrschaft. Dem letzten Ordensmeister, Gotthard Kettler, gelang es, das Ordensgebiet Kurland, das Land südlich der Düna, als erbliches polnisches Lehensherzogtum für sich zu erhalten.

Kurland

Und jetzt erkennt man wieder die Zusammenarbeit der Schillings mit den Ordensmeistern.

Der älteste Sohn von Nikolaus, Kaspar II, blieb nicht auf dem väterlichen Gut Meschgail, sondern zog nach Kurland, wo er vom frisch gekürten Herzog "bescheidene" (lt. Vietinghoff, Archivar des kurl. Ritterarchivs, 1943) Ländereien erwarb.

Am 3. April 1563 erhielt Kaspar Schilling für dargeliehene 1600 Mark drei und am 13. Januar 1581 für 2000 Mark fünf Bauernhöfe bei Bauske zur lebenslangen Nutzung sowie am 4. März 1586 für sich und seine Söhne das lebenslange Pfandrecht hieran. In Livland blieb der zweitjüngste der vier Söhne des Nikolaus, Valentin, auf jenem drei Haken großen Hof Meschgail, der bis 1682 in Familienbesitz blieb.

Valentin ist Stammvater des ausgestorbenen livländischen Teilstammes des Geschlechts. Er vertrat den östlichen Teil der Familie auf einer seltsam anmutenden - aber für die damalige Zeit nicht ungewöhnlichen - Veranstaltung: Der Erbvereinigung des Hauses Schilling, die am 15. August 1556 zwischen sechs Stämmen der Familie mit verschiedenen Wappen in Breslau geschlossen wurde. Dieser Vertrag sollte die Erbfolge des Geschlechts regeln. Wieso ausgerechnet Valentin aus dem fernen Livland nach Schlesien reiste, ist unbekannt. Eventuell wollte Valentin mit seiner Reise den nicht ganz sicheren Ursprung der Familie unter Beweis stellen.

Eintragung in die Ritterbank

Die Beteiligung Valentins an der Breslauer Veranstaltung wird möglicherweise seinem Neffen Alexander nützlich gewesen sein, der das Geschlecht 1620 vor der kurländischen Ritterbank zur Eintragung in die kurländische Matrikel vertrat.

Es standen den Antragstellern verschiedene Möglichkeiten offen, den Adel des Geschlechts unter Beweis zu stellen. Alexander wählte die am häufigsten angewandte Beweisführung, sich auf das "Notorium" zu berufen, d.h. er erklärte, die Familie sei adeliger Herkunft. Das Protokoll über die Sitzung lautet (lt. Vietinghoffs Aufzeichnugen):

"1620 17. X. Alexander Schilling. Hat seinen Ursprung angegeben aus Westphalen und sich auf das Munsteri Kosmographium berufen, worin an unterschiedlichen Orten seines adeligen Geschlechts rühmlich gedacht würde, dann das Notorium fürgewendet und seine Ahnren übergeben alß Vaters Linie:
Schilling, Neuzkirch, Westphal, (4 mangelt), Adam, Dühren, Blomberg, Lamßdorff.
Mutterlinie:
Nettelhorst, Amboten, Dumpian, Dühren, Halschwig, (6 mangelt), Blombereg, Lamßdorf.
Abschrift v. 1620, Okt. 17: In die 1. Klasse sub Nr. 63 verzeichnet (Jb. 1895, Die Ritterbanken in Kurland, nach Originalprotokollen von 1618 – 1648, S.25, Nr.46)."

Eduard Freiherr von Firks kommentierte später im "Jahrbuch für Genealogie, Heraldik und Sphragistik" (1895, Mitau, bei Steffenhagen und Sohn 1896):

"Man scheint Alexander Schilling nicht ohne Bedenken recipiert zu haben, da bei ihm von der sonst zu Tage tretenden Gepflogenheit, die aufgenommenen Bewerber in der Reihenfolge ihres Vortritts vor der Ritterbank zu verzeichnen, Abstand genommen worden zu sein. Es macht den Eindruck, als hätte man die Entscheidung über seine Bewerbung, um sich das Für und Wider noch einmal zu überlegen, bis zum Ende der Session zurückgestellt."

Erst dann wurde er endgültig aufgenommen. Es ist nicht auszuschließen, dass die beiden "mangelnden" Ahnen Ursache für die Verzögerung waren. Die Matrikel war notwendig, um die Stellung des Adels nach dem Ende des Ordensstaats zu sichern.

Litauen

Alexanders älterer Bruder Georg erbte den Besitz des Vaters. Allerdings blieb er nur zwei Jahre lang Pfandbesitzer der fünf Höfe bei Bauske und zog dann auf die Ländereien seiner Frau Margarete, geb. Urader, die unter anderem Lambertshof in Kurland besaß. Dieser ist jedoch nie in den Besitz der Familie Schilling gelangt, obwohl sich Georgs Sohn Matthias (Werner) "Erbherr auf Lambertshof" nannte.

Matthias war außerdem von 1634 bis 1649 Pfandherr auf Brunowisci im Kreis Ipice in Litauen. Im nördlichen Litauen gehörten zu jener Zeit die meisten Güter kurländischen Adelsfamilien. Schließlich war Litauen damals mit Polen vereinigt und auch Kurland gehörte zur polnischen Krone.

Ein Großsohn von Matthias, Matthias Georg, erwarb 1717 das Gut Pojulen, das einem Ast der Familie den Beinamen "Pojulen" gab.

Seit Matthias Georg unterzeichneten die Schillings im Baltikum mit "von Schilling".

Ebenfalls nach Litauen zogen Alexanders Nachkommen. Sein Enkel Alexander Johann wurde 1676 Herr auf Schilling-Pommusch.

In zweiter Ehe hatte Alexander Johann Emerentia von Borch geheiratet, die von ihrem ersten Mann, Karl von Szoege, die Nutznießung der Güter Kommodern und Brunnowiski in Litauen geerbt hatte. Diese gehörten allerdings deren acht Kindern aus der Ehe mit Szoege.

Alexander Ladisaus (geb. 1681), der einzige Sohn aus der Ehe von Alexander und Emerentia, erbte aufgrund väterlichen Testaments Pommusch, verkaufte es allerdings 1712 wieder.

Estland

Sein Enkel Alexander Magnus, Pfandherr auf Breden (wieder im Kreis Bauske) machte 1763 Konkurs.

In einer Veröffentlichung des Institutes für Archivwissenschaft in Marburg, die alle Soldaten auflistet, die der Landgraf von Hessen Kassel an England zur Verstärkung der Truppen gegen die amerikanischen Unabhängigkeitskämpfer verkauft hatte, taucht auch Alexander Magnus auf. Während bisher angenommen wurde, er sei mit seiner Frau und vier Kindern als erster Schilling nach Amerika ausgewandert, hat sie inzwischen herausgestellt, dass er Deutschland überhaupt nicht Richtung Amerika verlassen hat. Auch war er zum damaligen Zeitpunkt erst 18 Jahre alt und wird wohl kaum schon eine Frau und Kinder gehabt haben. Es ergibt sich die Aufgabe, die Umstände zu klären. Diese Linie der Familie starb in Litauen und Kurland aus.

Sein Bruder, Alexander Magnus, gelangte aus noch nicht geklärten Gründen, vermutlich als Offizier (Rittmeister) nach Österreich und ist 1834 in St. Pölten (Niederösterreich) verstorben. Er begründete einen Nebenzweig der Familie, der in Österreich im Kleinbürgerstand ohne Adelsprädikat blühte.

Der Besitzer von Pojuhlen, Matthias Georg, hatte drei Söhne. Der zweite Sohn, Friedrich Wilhelm (1684 bis 1756), scheint keine großen landwirtschaftlichen Ambitionen gehabt zu haben. Er ging zum Militär und verkaufte seinen Anteil an Pojuhlen an seinen älteren Bruder Otto Nikolaus.

Der Ast Pojuhlen lässt sich nach 1761 nicht weiter verfolgen. Der jüngste Sohn, Gotthard Ernst, hatte verschiedene Besitzungen in Litauen. Sein Sohn Karl Nikolaus erwarb 1778 das Gut Pomusch für die Schillings zurück. Es blieb bis 1878 im besitz der Familie. Dann erlosch dieser Ast.

Friedrich Wilhelm nahm 1714 wegen zahlreicher Verwundungen seinen Abschied und lebte nach eigenen Aussagen "dürftig, doch zufrieden" bis zu seinem Tode in Litauen und Kurland.

Sein 3. Sohn Karl Gebhard wurde der Stammvater des estländischen Astes, dessen Zweige als einzige nachweisliche Erben des östlichen Stammes des Geschlechts in aller Welt blühen.

Großgrundbesitzer in Estland

Karl Gebhards Karriere begann keineswegs vielversprechend. Er trat 1733 im Alter von 14 Jahren als gemeiner Soldat in russische Kriegsdienste und zeichnete sich mehrmals im Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) aus, den Friedrich der Große gegen Österreich sowie zunächst Rußland um den Erwerb Schlesiens führte. Karl Gebhard wurde schließlich 1760 wegen vieler Verwundungen als General-Major aus dem Felddienst entlassen und nach Estland zum Festungs- und Hafenbauprojekt Baltischport abkommandiert. Am 15. September 1760 heiratete er dort die verwitwete Helena Charlotte von Römer, geborene von Tiesenhausen und schied 1765 aus dem Militärdienst aus.

Damit beginnt ein neues Kapitel in der Familiengeschichte: Die Bewirtschaftung von Gütern in Estland. Karl Gebhard übenahm von seiner Frau das Gut Seinigal und kaufte später Orgena, wohin er 1765 auch übersiedelte.

155 Jahre später, als die Güter 1919/1920 enteignet wurden, war der Schillingsche Großgrundbesitz nach dem Stackelbergschen der zweitgrößte in dieser russischen Provinz. Er umfasste 21 Güter mit einer Fläche von 41 000 Hektar.

Die Familie von Schilling wurde auf Antrag von Karl Gebhard 1768 in die Estländische Adelsmatrikel eingetragen. Durch Ukas des Kaiserlich Russischen Dirigierenden Senats vom 18. Mai 1834 und vom 17. Oktober 1855 wurde für den estländischen Zweig der Familie das bereits früher bestehende Recht zur Führung des Baronstitels offiziell anerkannt.

Karl Gebhards Bruder Gotthard Raffael erreichte sogar eine Standeserhöhung. Durch persönliche Beziehungen zu dem aus Livland stammenden österreichischen Feldmarschall Ernst von Loudon trat er in österreichische Dienste, avancierte zum Generalmajor und zum K. und K. Kämmerer und erhielt 1772 den Titel eines Reichsfreiherren. 1781 wurde er als Graf Schilling von Schillingshof in den Reichsgrafenstand erhoben, obgleich Schillingshof damals schon längst nicht mehr im Besitz der Familie war. Gotthard Raffael blieb unverheiratet.

Karl Gebhards einziger Sohn Fabian Wilhelm sorgte allerdings dafür, daß sich die Schillings in Estland rasch ausbreiteten. Seine zweite Frau, Anna Juliane, geborene von Rosen, gebar ihm 13 Kinder.

Karl Raffael erbte Serrefer, Gustav Gideon Orgena und Alexander Napoleon Seinigal und begründeten die jeweiligen Zweige.

Gustav Gideons Sohn Georg Walter wurde auf Jürgensberg später der Begründer dieses Zweiges.

Leider wissen wir von Fabian Wilhelm recht wenig, nicht einmal ein Bild existiert von ihm. Während seiner kurzen Studentenzeit in Deutschland (wohl hauptsächlich in Berlin und Göttingen) vom Frühjahr 1778 bis zum Tod des Vaters im Sommer 1779 erwarb er den Rang eines hessisch-darmstädtischen Obristleutnants. Fabian Wilhelm muss sehr vielseitig interessiert gewesen sein. Er dichtete, war Freimaurer und spielte Theater. In der Personalliste des Liebhabertheaters in Reval, das 1784 von August Kotzebue gegründet worden war, steht folgende Eintragung:

"Obristleutnant Fabian Wilhelm von Schilling und Frau von Schilling, geborene Anna Juliane von Rosen. Mitglieder seit März 1789. Ausgetreten Dezember 1791"

Umsiedlung und Auswanderung

Nach den Unruhen in den baltischen Provinzen (1906), dem 1. Weltkrieg und der russischen Revolution (1917) siedelten bereits mehrere Glieder der Familie nach Deutschland über.

Die Entstehung der Republiken Estland und Lettland (1918) führte durch Enteignung des Großgrundbesitzes und die Auflösung der ständischen Körperschaften zu einer großen Veränderung der Lebensverhältnisse in allen deutschen Familien.

1939 bedeutete die Umsiedlung ins Deutsche Reich das Ende der jahrhundertelangen Geschichte der Deutschbalten. Diese Aktion war ein Bestandteil des deutsch-russischen Nichtangriffspaktes vom August 1939. Neues Siedlungsgebiet wurden für den größten Teil der Schilling-Umsiedler Städte und - zunächst kommissarisch verwaltete - Güter in den Gebieten Danzig-Westpreussen und Wartheland, bis 1945 die Flucht vor den Russen die Familien über ganz Deutschland und die Welt zerstreute.

Von den 1996 registrierten 143 Familienmitgliedern lebten 80, also der größte Teil, in der Bundesrepublik Deutschland. In Kanada sind inzwischen 53 angesiedelt, in Südafrika vier, in Dänemark zwei, in den USA zwei, in Finnland, der Schweiz und Guadeloupe je ein Familienmitglied.

Die Auswanderung von Familienmitgliedern nach Kanada begann bereits 1927, als die beiden ältesten Söhne von Hermann (Orgena), Gebhard und Friedrich (Fritz), in der neuen Welt ihr Glück suchten. Während Gebhard 1939 zurückkehrte, gründete der Farmer Fritz auf der Vancouver Insel mit sechs Kindern ein neues Schilling-Haus, das sich bereits auf 30 Mitglieder vermehrt hat.

In die Stadt Vancouver wanderte 1953 Georg (Jürgen, Orgena) aus, ein Neffe zweiten Grades von Fritz.

In den Osten Kanadas zogen in den 50er Jahren vier Kinder von Bodo und Inge (Serrefer): Karin, Wolter, Heinrich und Kurt.

Das Haus Serrefer blüht zur Zeit in Ontario und British Columbia, eine Angehörige dieser Familiengruppe heiratete in die Provinz Quebec. Dort hat sich in Montreal auch eine Cousine von Georg, Dagmar, verheiratete Edel, häuslich niedergelassen.