Einleitung und geschichtlicher Überblick

aus: Geschlechtsbeschreibung der Familie
Schilling von Canstatt

Heidelberg 1905

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Das Bedürfnis der Familie, jetzt, nach nahezu hundert Jahren, die von dem Geheimrat Karl Friedrich Schilling von Canstatt mit wahrhaft bewundernswertem Fleiß bis zum Jahr 1807 ausgearbeitete Geschlechtsbeschreibung bis auf die Gegenwart fortgesetzt zu sehen, gab zugleich Anregung, das Werk auf den alten Text hin zu prüfen, um es durch inzwischen gemachte historische Forschungsergebnisse zu verbessern, zu erweitern.

Es war Pflicht der Pietät und geschah auch auf Wunsch der Familie, nach Möglichkeit den ursprünglichen Wortlaut beizubehalten; aber im Interesse einer besseren Übersicht schien es dringend geboten, die Vielteiligkeit und Reichhaltigkeit des Buches durch Ausscheidung aller die Familie von Schilling nicht ausschließlich betreffenden Kompendien tunlichst zu beschränken, gewiß ohne den Wert der letzteren irgendwie herabmindern zu wollen.

In erster Linie wurde durch dies Verfahren eine Reihe von Beilagen, welche in der alten Geschlechtsbeschreibung einen gesonderten Abschnitt gebildet, unter die Lebensbeschreibungen der einzelnen Familienmitglieder jeweils zeit- und sachgemäß verteilt. Andere, wieder weniger interessante und minder wichtige Urkunden wurden beiseite gelassen. Es wurde der von dem bisher üblichen Stammbaum der Familie an einzelnen Stellen abweichende Stammbaum Gabelkovers, besorgt von Herrn Th. Schön, mitaufgenommen, welcher von 1284 bis Ende des 16. Jahrhunderts reicht, jedoch in den Lebensbeschreibungen weiter kein Bezug darauf genommen. Sein Besitz war jedoch sehr wünschenswert. An Stelle der alten, auf mehrere Blätter verteilten Stammtafel ist eine neue, auf einem einzigen Bogen entworfene getreten, bei der jede Person ihre eigene, fortlaufende Nummer führt, welche mit der Nummer in der Reihe der Lebensbeschreibungen, auch nach dem alten Familienbuch übereinstimmt.

Man bediene sich also neben dem Register auch der Stammtafel zum Nachschlagen, um zugleich das Verwandtschaftsverhältnis der Personen zueinander festzustellen. Durchaus neu in die Stammtafel einzufügende Personen tragen, damit die Reihenfolge der alten Geschlechtsbeschreibung beibehalten werden konnte, die durch die Buchstaben des Alphabetes modifizierte Nummer der vorangehenden Person.

Auf Beschreibung aller Örtlichkeiten, welche für die Familie von Interesse sein müssen, ist jeweils Rücksicht genommen, und diese Beschreibungen sind ebenfalls in der Reihe der Lebensumstände an entsprechender Stelle einbezogen worden. Ein diesbezügliches Register erleichtert das Nachschlagen.

Wo bezüglich der Quellen und Urkunden nichts besonders erwähnt worden ist, muß auf das alte Familienbuch verwiesen werden, dessen Angaben als erprobt und bewahrt gelten, insofern dies von den Quellen selbst gesagt werden kann. Die Ausscheidung der Stammtafeln fremder, ausgestorbener und verwandter Geschlechter, sowie die mit so großem Fleiß ausgeführten Ahnentafeln der Schilling von Canstatt, bedeutet bei der heutigen Zugänglichkeit der Archive und größern öffentlichen Büchereien schwerlich einen empfindlichen Verzicht, wo sie den Umfang des Buches in so günstiger Weise beschränkt. Dies Verfahren brachte notwendig die Titeländerung des Buches mit sich. Es mußte bei der Masse der Neueinfügungen in den alten Text Abstand davon genommen werden, diese besonders zu kennzeichnen, da etwa ein Wechsel im Druck oder die reichliche Anwendung von diesbezüglichen Interpunktionszeichen den Leser stören würden. Dabei wurde an verschiedenen Stellen in den Lebensbeschreibungen versucht, den historischen Zusammenhang der Ereignisse eingehender darzustellen, als er vorhanden gewesen; dies namentlich bei Bertold V., Ulrich II. und später bei Ludwig Friedrich. In der vor allem wichtigen Geschichte Georgs des Johanniter-Großbailly konnte die von Dr. H. Meisner herausgegebene Sammlung seiner Briefe an den Ordensgroßmeister von Hattstein nicht aufgenommen werden, doch ein ihn betreffendes, höchst wertvolles Urkundenblatt, ebenso sind jetzt Passagen aus der bekannten Zimmerschen Chronik wörtlich wiedergegeben.

Eine in Köln 1880 durch Viktor von Schilling neu erworbene Urkunde: der Heiratsbrief des Johann von Schilling mit Anna von Sperberseck ist an Ort und Stelle eingefügt, desgleichen die Stiftungsurkunde der Agnes von Münchingen. Die Persönlichkeit Ludwig Friedrichs, des Generalmajors des Schwäbischen Kreise aus der Zeit nach dem 30jährigen Kriege, dürfte, wie zu hoffen ist, durch Heranziehung ziemlich detaillierter Nachrichten über seine vielfachen Kriegserlebnisse, sowie durch seine Briefe dem Leser ungleich schärfer und deutlicher in die Erscheinung treten. Mit der Belehnung Wilhelm Friedrichs mit Hohenwettersbach durch den Markgrafen Karl Ludwig von Baden erfolgte dann 1725 die Verpflanzung der Familie aus Schwaben nach Baden. Das Lager- und nunmehrige Grundbuch von Hohenwettersbach, Dokumente, Privatbriefe, schriftliche sowie mündliche Überlieferungen und Tagebücher boten für die letzten Zeiten ersprießliche Beiträge für die Fortführung der Familiengeschichte bis in die Gegenwart.

Einen erheblichen Zuwachs erfuhr endlich das Familienbuch durch das von Herrn Theodor Schön in Stuttgart dem Bearbeiter gütigst zugestellte Regestenmaterial aus württembergischen und badischen Archiven, Bibliotheken, Registraturen u.s.w. Die Fami1ie ist Herrn Schön zu wärmstem Dank verpflichtet. Weitaus die meisten derjenigen Notizen der ältern Zeit, denen eingeklammerte Quellenangaben angefügt sind, verdanken wir Herrn Th. Schön.

Diese Regesten brachten in jeder Beziehung Neues, manche Belege und Richtigstellungen. Durch diese Regesten sind auch bis jetzt unbekannte Vorfahren, namentlich im 14. Jahrhundert, eingereiht worden, wodurch aber die Nummerfolge sowohl des Stammbaums, als auch der Lebensbeschreibung nicht irritiert worden ist. Es muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß bei sehr häufig gleichlautenden Namen, zumal in ein und derselben Familie, die Entscheidung zuweilen schwer ganz richtig zu treffen ist, auf welche Person diese oder jene Urkunde oder Nachricht zu beziehen ist. Vor allem wichtig war, daß durch diese Regesten nun tatsächlich ein Besitzstand der Familie in ihrem ältesten Wohnsitz festgestellt werden konnte, und zwar auf der Altenburg bei Cannstatt. Die Regesten beginnen 1268, und der Aufmerksamkeit des Lesers wird nicht entgehen, daß namentlich in der ersten Zeit bis 1400 gar manches im Vergleich zum alten Familienbuch sich geändert hat.

Eine erhebliche Änderung im Gegensatz zum alten Familienbuch ist die Weglassung aller nicht schwäbischen Familien von Schilling. All diese Geschlechter, die Schweizer, die aus Weißenburg im Elsaß stammenden Schlesier, die Lahnsteiner, die westfälische aus Buxford stammende Familie und die baltischen Familien, welche sich nicht von Cannstatt schreiben, sind nicht mit dem schwäbischen Schilling von Canstatt stammverwandt. Von berufener Seite ist schon darauf hingewiesen worden: Familien des Uradels verschiedenen Namens, aber mit gleichem Wappen (z.B. Venningen, Remchingen, ebenso Göler, Menzingen, Helmstadt) sind stammverwandt; Familien des Uradels gleichen Namens, die aber verschiedene Wappen führen, sind nicht stammverwandt. Es bleibt indessen eine offene Frage, ob dieser Satz grundsätzlichen Wert besitzt.

Es bleibt also noch zu ermitteln bezüglich der in Rußland lebenden von Schilling, ob tatsächlich vom deutschen Orden her Nachkommen der Schilling von Canstatt, speziell vielleicht des Wiguleus Schilling, in Rußland fortleben. Daß solche russische Schilling von Canstatt von Paul Schillings Bruder Alexander her vorhanden sind, ist sehr wahrscheinlich, konnte indessen augenblicklich der Kriegszeiten halber nicht genau erforscht werden. Die esthländischen und kurländischen Schilling jedoch, die sich nicht von Canstatt schreiben, sind mit dem schwäbischen Stamm nicht in Beziehung zu bringen und die Kurländer, die von den Westfalen in Buxford (auch gibt es oder hat es in Rußland eine Familie von Buxhöwden gegeben) stammen wollen, können diese Behauptung der Wappenverschiedenheit beider Geschlechter wegen schwerlich aufrechterhalten.

Was überhaupt das Wappen des schwäbischen Stammes betrifft, scheint in Zeiten, wo Wappen beim niedern Adel überhaupt erst üblich geworden, also im 12. oder 13. Jahrhundert, die Familie der Schilling mit andern in der Stadt Cannstatt eingesessenen Ministerialen-Geschlechtern, denen von Canstatt und den Cänli oder Canli, das Wappen mit der Kanne gemeinsam gehabt zu haben. Die Stadt selbst hat das gleiche Wappen mit der Kanne, aber wohl erst später angenommen, nachdem die ursprüngliche Bedeutung des Namens Cannstatt verwischt und vergessen war; denn "die altdeutschen Stammsylben Can, Kan, Chan, Chann Cond" sind nach Gustav Schwab "nichts anderes als Variationen des bekannten Wortes Kunne, was Familie, Sippschaft bedeutet". Cannstatt hieße also "Stätte der Gesippten, Burg der Verwandten, Vetternschaft" oder steckt der Personenname Cando darin.

Wie nun die Schilling von Canstatt zu der Kanne in ihrem Wappenschild gekommen, darüber läßt sich schlechtweg nichts feststellen; gewiß jedoch ist, daß diese Kanne mit dem Erbschenkenamt im Herzogtum Schwaben nichts zu tun hat. Um nun neben der Herleitung des Namens Cannstatt auch eine solche des Namens Schilling zu geben, sei auf Dr. R. Kapffs Verzeichnis: "Deutsche Vornamen mit den von ihnen abstammenden Geschlechtsnamen" hingewiesen, wonach Schilling aus dem zur Namenbildung verwendeten Stamm skild gebildet ist, was Schild bedeutet.

Um Raum zu sparen, mußte bei der Neubearbeitung des Familienbuches von einer zusammenfassenden Wiedergabe der Geschichte des schwäbischen Geschlechtes abgesehen werden; aber auf eine kurze Rückschau über wichtige geschichtliche Epochen, in denen wir den Namen der Schilling von Canstatt nennen hören, ist nicht zu verzichten.

Welcher Schilling in den wilden Fehden Eberhards des Erlauchten gegen die Kaiser Heinrich VII. und Rudolf von Habsburg mit zu Felde gezogen, ist uns nicht überliefert, aber damals hat das Geschlecht seine heimatlichen Stammsitze eingebüßt, als Stuttgart seine Mauern verlor und um Cannstatt her 5 Burgen in Schutt und Asche sanken.

Seit jener Zeit dieser unstete, ruhelose, rastlose Zug in der Familie, seit jener Zeit diese untilgbare Liebe zum Waffenhandwerk.

Wenig fromme Stiftungen sind verzeichnet, viel Absagebriefe, unzählige Tauschverträge erhalten bis um die Jahrhundertwende vor dem Konstanzer Konzil, dessen Chronik auch die Schilling als Gäste der Stadt am Bodensee nennt. In den Hussitenkriegen, in Preußen unter dem deutschen Orden stehen die Schilling im Felde, in den erbitterten Fehden daheim in Schwaben oder auf der Walstatt vor Seckenheim wider den Pfälzer Fritz geben sie Blut und Freiheit dahin. Auch ihren Kindern und Kindeskindern waren keine friedlicheren Tage beschieden. Württembergs Herzog geächtet und landflüchtig, Brand und Blutvergießen allenthalben in Schwaben, Franken und am Rhein durch den Aufruhr der Bauern, in allen Herzen die Angst und der Zweifel um den rechten Christenglauben – es ist seltsam, daß in solcher Zeit des Zwiespalts diesem Geschlecht sein trefflichster Sohn entsprossen: Jerg Schilling, der Johannitergroßbailly. Man darf sagen, sein Arm hat vor andern seinesgleichen die Sache des Deutschtums, des Christentums und der gesamten Kulturwelt seines Zeitalters heldenhaft gegen Barbaren verfochten. Er selbst, ein grimmer Feind der Lutherischen, hat wohl noch manchen seiner Sippe dem neuen Glauben sich zuwenden sehen. Er starb, noch ehe sein Kaiser des Herrschens müde ward, noch ehe zu Augsburg Glaubensfriede geschlossen worden. Dann zog das Jahrhundert des großen Krieges herauf, die Generationen unseres Geschlechtes lichten sich zusehends, spärliche Nachrichten aus jenen Schreckenszeiten sind bis auf uns gelangt; aber mit Grausen gedenken wir unsrer Vorfahren, wenn wir lesen, was Schwaben erduldet hat nach dem Tage von Nördlingen.

Es ist eine derbe Kraftprobe, wenn ein Geschlecht Zeiten überdauert, die es wirtschaftlich erschöpfen und moralisch tief erschüttern mußten.

Wir sehen aber auch jetzt nicht die alte Streitbarkeit erlahmen, die angestammte Waffenfreudigkeit der Väter erschlaffen; denn die Söhne derer, die den 30jährigen Krieg erlebt, ziehen unverdrossen aus, das Reich wider den Halbmond zu schirmen. Es ist eine gewaltige Prüfung der Lebenskraft eines uralten Stammes gewesen, daß ihn Kriegswetter und Unbilden der Zeit, wie die Schrecken der französischen Raubzüge am Rhein nicht zu stürzen vermochten.

Und nicht genug! Aus der alten schönen schwäbischen Heimat wendet sich dies Geschecht nach der Fremde, einem starken Triebe gehorchend, mit dem Alten zu brechen, einer Ahnung folgend, daß der Morgen einer neuen Zeit nicht ferne sei. Die Nachbarlande Baden und Ansbach nahmen sie auf, andere Auswanderer werden in Brandenburg heimisch, wieder andere in den baltischen Provinzen, und der letzte sucht über dem Ozean wagend und irrend sein Glück.

Doch die kriegerische Folgezeit der französischen Revolution ruft alle wieder zu den Fahnen, die Waffen tragen können. Erst folgen sie den Adlern Napoleons bis vor Wien und gegen Rußland; dann reißt sie der Sturm mit, der in der Schlacht vor Paris den Sturz des korsischen Zwingherrn vollendete. In den darauffolgenden Jahrzehnten, der Zeit der Umgestaltung des öffentlichen Lebens durch eine Reihe bedeutender Erfindungen, kann zwar die Familie mit Genugtuung feststellen, daß sie in Paul Schilling dem Erfinder des Schreibtelegraphen, einen hervorragenden Repräsentanten geistigen Strebens aufzuweisen hat; im übrigen aber muß leider festgestellt werden, daß seit Ernst Friedrichs frühem Hinscheiden, 1804, und seit Franz Alexander, der 1827 starb, kein Mitglied der Familie mehr eine Universität besucht hat. Die überwiegende Mehrzahl widmete sich dem Wehrstande.

So ging unser Geschlecht den Zeiten innerpolitischer Gärung 1848-1849 entgegen, so nahm es 1866 teil am Krieg Preußens gegen die deutschen Südstaaten, so regte sich wiede das alte Schwabenblut, als 1870 die Kriegsfanfare den einmütigen Heerbann deutscher Stämme zusammenrief. In alter Zeit hat Schwaben des deutschen Reiches Sturmbanner getragen und allzeit um des Vorkampfes Ehre geworben. Auch diesmal fehlen die schwäbischen Schilling nicht, und es waren elf Mann in Dienst, sieben erhielten im Feldzuge 1870-1871 das eiserne Kreuz. Auch die jüngst herangewachsene Generation scheint dem urväterlichen Erbteil ihres Geschlechts gleichermaßen Treue halten zu wollen:

Sie liebt den Wehrstand.

  • Franz Schilling von Canstatt, Oberstleutnant und Bezirkskommandeur in Donaueschingen.
  • Max Schilling von Canstatt, Major und Bataillonskommandeu im 4. Bad. Inf.-Regt.
  • Karl Schilling von Canstatt, Major z. D., Etappenkommandant in Rastatt.
  • Alexander Schilling von Canstatt, Rittmeister im 2. Bad. Drag Regt., EX .
  • Adolf Schilling von Canstatt, Hauptmann im 2. Bad. Inf Regt., EX .
  • Wilhelm Schilling von Canstatt, Hauptmann im 5. Bad. Inf. Regt., EX .
  • Ferdinand Schilling von Canstatt, Kriegsfreiwilliger im 6. Bad Inf.-Regt., EX .
  • Heinrich Schilling von Canstatt, Leutnant und Bataillons-Adjutant im 2. Bad. Inf.-Regt., EX .
  • Hermann Schilling von Canstatt, Leutnant im Bad. Leib-Grenadier-Regt., EX .
  • Theodor Schilling von Canstatt, Leutnant im 1. Württ. Inf.-Regt.
  • Leopold Schilling von Canstatt, Leutnant der Landwehr, Chef der Trainbekleidungseskadron der Bad. Division, EX .