Ein Poet mit Hammer und Meißel
Von Helmuth von Schilling
Die Denkmalkunst erlebte im 19. Jahrhundert ihre Blüte. Zu den bedeutendsten Vertretern zählt der heute fast vergessene Bildhauer Johannes Schilling aus Dresden
Auf dem "Balkon Europas", der Brühlschen Terrasse in Dresden, drängeln sich nach dem Fall des Eisernen Vorhanges wieder Touristen aus aller Welt. Eine Gruppe schart sich um eine besondere Führerin: um lna Nickel. Ihr Urgroßvater, Johannes Schilling (1828 bis 1910), hat die ausdrucksvollen Gruppen der "Vier Tageszeiten" an der Treppenanlage der Terrasse geschaffen.
Die
Besucher um die Urenkelin des Bildhauers genießen den
herrlichen Blick über die Elbe, auf die Hofkirche und
auf das fast wiederaufgebaute Stadtschloss, besonders
ehrfurchtsvoll. Es sind lauter Schillings, die aus
allen Kontinenten zu ihrem Familientag in die
Elb-Metropole geeilt sind. Später bewundern sie
weitere Höhepunkte der europäischen Stadtbaukunst:
Den Theaterplatz mit der Semperoper und den Zwinger.
Doch etwas betrübt sie: während andere Künstler wie
der Erbauer des Zwingers, Daniel Pöppelmann, oder der
Architekt des Hoftheaters, Gottfried Semper, in jedem
Prospekt gerühmt werden, bleibt Schilling meist
unerwähnt. Dabei hat er beileibe nicht nur die
"Vier Tageszeiten" geschaffen, sondern eine
Fülle anderer Denkmäler im Elb-Florenz. Darunter das
Reiterdenkmal für König Johann auf dem Theaterplatz
und die Pantherquadriga auf der legendären
Semperoper.
Die Kunstwissenschaftlerin Dr. Bärbel Stephan Freifrau v. Fink bringt es auf den Punkt: "Geliebt, verehrt und bewahrt wurden diese Kunstwerke seit ihrer Entstehungszeit. Allein ihr Schöpfer ist in Vergessenheit geraten." Bärbel Stephan hat in einem umfangreichen Buch, das kürzlich erschienen ist, an diesen herausragenden Künstler erinnert (Bärbel Stephan, Sächsische Baukunst. Johannes Schilling. Verlag für Bauwesen, Berlin. 306 Seiten, 205 zumeist farbige Abbildungen. Preis: 198 Mark). Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zeichnet ein lebendiges Bild des Mannes, der mit 32 Jahren aus der Konkurrenz um die Terrassen-Gruppen als Sieger hervorging. Schlagartig gelang ihm mit diesem "Geniestreich" der Aufstieg in die erste Reihe der deutschen Bildhauer. Professor Julius Hähnel nannte ihn seinen Lieblingsschüler und langjährigen Kollegen an der Kunstakademie Dresden, voller Bewunderung "den göttlichen Schilling". Die insgesamt 265 plastischen Werke Schillings sind in vielen Städten Deutschlands zu bewundern, aber auch in Österreich, Italien und Frankreich: Eines seiner bekanntesten, aber auch umstrittensten Bauwerke ist das Niederwalddenkmal bei Rüdesheim.
Das mächtige Kunstwerk ist als
martialisch verschrien und hat deshalb dem Ruf des
Bildhauers geschadet. Dabei wollte Schilling nach dem Ende
des deutsch-französischen Kriegs nur den Frieden rühmen.
So ist das Schwert der Germania, anders als beim Hermann auf
dem Teutoburger Wald, nicht geschwungen, sondern zur Ruhe
gestellt. Verärgert reagiert Schilling, als man von ihm
verlangte, das Nationaldenkmal so zu drehen, daß die
Germania gen Frankreich blicke. Im Oktober 1876 schrieb er
an Landrat Fonck nach Rüdesheim: "Wozu soll die Germania vom
Niederwald nach Frankreich schauen, seit der Rhein nicht
mehr Grenzstrom ist? Nicht dem besiegten Feind, dem
deutschen Volk zeigt sie die Krone, die ihr Haupt zu
schmücken bestimmt ist. Darum ist ihr Blick dem Rheingau
zugewendet. Das Denkmal darf nach meiner vollsten
Überzeugung nicht einen Moment mehr in den Bereich der
Darstellung ziehen, als die abgeschlossene That. Der Krieg
ist beendet ..., Germania ist die Siegerin."
Schilling setzte sich schließlich durch. Das ändert nichts an der Tatsache, dass Schöpfer von Denkmälern in Deutschland nach ihrer Hoch-Zeit im 19. Jahrhundert spätestens seit dem Ersten Weltkrieg wenig geliebt werden. Ihre Namen stehen, wenn überhaupt, nur in winziger Schrift auf den Sockeln ihrer Kunstwerke. Meist kann der Betrachter sie nur nach dem Scheuern mit einer Wurzelbürste entziffern.
Bärbel Stephan hat dazu beigetragen, einen dieser Künstler aus der Versenkung zu holen. In ihrem Buch, zugleich ein beachtliches Werk über Dresden, heißt es zur einmaligen Zusammenarbeit von Semper und Schilling: "War Semper als Poet in der Architektur tätig, schuf Schilling in stilistischer Korrespondenz zu diesen Architekturen, zur Landschaft, seine Bildwerke: lesbar, verständlich, maßstäblich, schönfließend in der Umrisslinie, präzise im Aufbau, von geschliffener Porträtschärfe und doch letztlich so poetisch."